Die Politikwissenschaftlerin Birgit Mahnkopf forscht zur Krux des Wachstums und zur ökosozialen Gerechtigkeit. Im Gespräch erinnert sie daran, dass wir der Krise ins Auge schauen müssen, und dies möglichst sofort. Die Kraft für eine radikale Umwälzung der Verhältnisse können wir heute nicht aus dem tröstlichen Versprechen einer wunderbaren, glücklichen Zukunft beziehen. Nein, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es gilt, das Schlimmste zu verhindern, und das muss als Antriebskraft genügen.

 

Gibt es Parallelen zwischen der
            Pandemiebekämpfung und der Art und Weise, wie man gegen den
            Klimawandel vorgeht?
Gibt es Parallelen zwischen der Pandemiebekämpfung und der Art und Weise, wie man gegen den Klimawandel vorgeht?

 

Interview: Raul Zelik in der WOZ Nr. 28/2021 vom 15.07.2021

WOZ: Frau Mahnkopf, Corona hat die Bedrohung durch den Klimawandel in den Hintergrund rücken lassen. Sehen Sie Parallelen zwischen der Pandemiebekämpfung und der Art und Weise, wie man gegen den Klimawandel vorgeht?
Birgit Mahnkopf: Die Pandemie wurde kurzzeitig als Zäsur erachtet, die alles ändern könnte. Und es gab auch einige Änderungen: eine Ermächtigung staatlicher Organe, die allerdings nicht besonders erfolgreich war, weil in unserer Gesellschaft die individuellen Freiheitsrechte über vieles andere gestellt werden. Im Hinblick auf die ökologische Katastrophe sehe ich eine derartige Entschiedenheit überhaupt nicht. Was gegenwärtig in den reichen Industrieländern eingeleitet wird, ist im besten Fall Augenwischerei.

Allerdings beweist die Pandemie, dass Marktgesellschaften kaum in der Lage sind, grundlegende Probleme gemeinsam zu bearbeiten. Es wird in erster Linie über die Präferenzen von Interessengruppen gesprochen.
Das ist wohl wahr. Obwohl wir regelmässig das Versagen der Märkte erleben, wird diese Maschinerie, die Karl Polanyi als «Satansmühle» bezeichnet hat, nicht hinterfragt. Das ist in der Pandemiebekämpfung nicht anders. Es gibt zwar staatliche Einschränkungen der Freiheitsrechte, aber was die Impfstoffproduktion angeht, setzt man allein auf das Prinzip der Marktanreize. Der Ruf nach staatlichem Handeln ist zwar lauter geworden, aber damit sind keine Eingriffe in die Eigentumsrechte gemeint.

In der Klimapolitik, wie sie quer durch alle Parteien, aber vor allem auch von den Grünen vertreten wird, zeigt sich das ebenfalls sehr deutlich. Nehmen wir ein vergleichsweise einfaches Problem, den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor: Anstatt klare Vorgaben zu machen, wird der Kauf eines Elektroautos mit einer Prämie von 9000 Euro belohnt, doch niemand verteilt kostenlos Fahrräder. Von einer Ermächtigung der öffentlichen Hand gegenüber den Märkten kann also keine Rede sein.

Sie sind in den letzten Jahren pessimistischer geworden, was die Frage angeht, ob sich sozialökologische Veränderungen durchsetzen lassen. Was ist denn das grösste Hindernis?
Das Junktim von Kapitalismus und Demokratie hat gut funktioniert, solange es mit unbegrenztem Wachstum einherging. Wenn heute von «ökologischer Wende» gesprochen wird, geht es darum, den Kapitalismus grüner zu machen. Nötig wäre aber eine Veränderung der Gesellschaftsform. Die gesellschaftliche Form des Industriekapitalismus ist, das lässt sich bei Marx nachlesen, die einer Warengesellschaft, ausgerichtet auf unendliche Akkumulation von Kapital. Das Kapital aber ist strukturell ignorant gegenüber den Menschen wie gegenüber der Natur. Was sich nicht mit Geld und Technik verändern lässt, unterbleibt.

Was ist mit der viel beschworenen «Klimaneutralität»?
Wer von «Klimaneutralität» schwadroniert, meint eigentlich nur: Wir setzen ein wenig mehr als bisher auf erneuerbare anstelle von fossilen Energieträgern und sichern uns – koste es, was es wolle – den Zugriff auf die dafür benötigten nicht erneuerbaren Rohstoffe, zuvorderst Metalle, Land und Wasser. Als «realistisch» und «durchsetzbar» gilt, was am bewährten «Geschäftsmodell» der OECD-Welt nichts Wesentliches ändert. Wir wollen weiter so leben wie bisher und scheren uns wenig darum, was dies für Menschen und Ökosysteme ausserhalb unseres Horizonts bedeutet. Insofern sind wir keinen Schritt weiter als vor zwanzig oder dreissig Jahren.

In den Umweltbewegungen werden ja meistens die Konsumerwartungen der vielen thematisiert. Aber sind die Kapitalinteressen der wenigen nicht viel entscheidender?
Diese beiden Aspekte lassen sich nicht voneinander trennen. Wir leben in einer Warengesellschaft, in der nicht nach essenziellen Bedürfnissen und Notwendigkeiten, sondern allein danach gefragt wird, wie eine hergestellte Ware abgesetzt wird. Profite müssen generiert und reinvestiert werden. Die KonsumentInnen sind ein elementarer Bestandteil dieses Systems, und «consumere» hat, daran sei hier erinnert, im Lateinischen auch die Bedeutung «zerstören». Etwas wird aufgebraucht. Das ist im Kapitalismus unverzichtbar – ohne Konsum weder Profit noch Produktion. Es kann also keine Rede davon sein, dass Konsuminteressen schlimmer oder weniger schlimm seien als Profitinteressen. Die Ware hat diese beiden Seiten. Wenn sie nicht konsumiert wird, erzeugt sie keinen Profit. Die radikale Alternative – weniger von allem – stellt sowohl für die KapitaleignerInnen als auch für die KonsumentInnen eine Bedrohung dar. Wir haben es also mit einer problematischen Liaison zwischen den ProfiteurInnen dieser Gesellschaftsformation und denjenigen zu tun, die eigentlich ein Interesse an Veränderungen haben müssten.

Es gibt seit den 1940er Jahren eine technologiekritische Debatte. In den letzten Jahren behaupten neue linke Strömungen, etwa der Akzelerationismus, dass wir offensiv auf technische Lösungen setzen sollten. Sie hingegen verweisen in Ihren Texten mit Günther Anders, dem ersten Ehemann von Hannah Arendt, darauf, dass zerstörerische Technologien, die einmal in der Welt sind, auch eingesetzt werden. Warum ist Technik eher ein Problem als Teil der Lösung?
Technik kann natürlich Teil der Lösung sein. Werkzeuge wie ein Hammer lassen sich bekanntermassen zu sehr unterschiedlichen Zwecken einsetzen. Aber Technologien sind ja nicht dasselbe wie Techniken und besitzen oft ein Eigenleben. Ihre Wirkung geht zumeist über unsere Fähigkeit zur Kontrolle hinaus. Seit der Aufklärung gilt, dass, so Günther Anders, alles, was technisch möglich ist, auch gemacht wird. Es gibt keine wirksame Bremse. Genau die brauchen wir aber: eine gesellschaftliche Debatte darüber, welche Technologie wir wollen und welche nicht. Faktisch passiert das Gegenteil: Die von uns erzeugte Klimakatastrophe soll mit absehbar katastrophenträchtigen Techniken des Geoengineering eingedämmt werden. Es wird nicht gefragt, was gesellschaftlich getan werden müsste, sondern es wird entwickelt, was technisch möglich ist. Wenn sich ein Markt dafür auftut, kommt die neue Technologie auch zum Einsatz, allen frühen Warnungen zum Trotz.

Sie haben sich zuletzt viel mit der Digitalisierung beschäftigt und betonen, dass die Überwachung des Einzelnen nicht das einzige Problem sei. Mindestens ebenso dramatisch seien die ökologischen Verheerungen, die die Digitalisierung nach sich ziehe.
Ja, die Datenströme verschlingen Unmengen an Energie und Ressourcen. Als EndnutzerInnen interessiert uns der Energieverbrauch der Datenzentren nicht, ein einziges verbraucht so viel Energie wie die 350 000 BewohnerInnen des Berliner Bezirks Schöneberg-Tempelhof zusammen. Dazu kommen die Rohstoffe, die für die digitalen Infrastrukturen benötigt werden. Der Begriff der Cloud suggeriert, die Daten würden durch den Himmel fliegen; aber tatsächlich bewegen sie sich ganz bodenständig durch Kupfer- und Glasfaserkabel, brauchen Satelliten im All und Trägermetalle. Die dafür nötigen Rohstoffe aber sind nicht nur ökonomisch, sondern auch im physischen und vor allem im geopolitischen Sinne knapp. Denn sie werden nur in sehr wenigen Ländern gefördert, und ihre ökologisch desaströse wie gesundheitsschädliche Produktion und Weiterverarbeitung konzentriert sich ebenfalls auf nur wenige Länder. Daher werden die geopolitischen Konflikte um diese Rohstoffe nicht geringer sein als die um das Erdöl.

In der ersten grossen Umweltbewegung der 1970er und 1980er Jahre war schon einmal viel von «Ökosozialismus» die Rede. Was ist von diesem Begriff heute noch aktuell?
Auf den Begriff kommt es vermutlich weniger an. Zumindest in Europa wissen wohl die meisten Menschen, dass etwas und was grundlegend geändert werden müsste, wenn tatsächlich eine halbwegs nachhaltige Produktions-, Verkehrs- und Lebensweise angestrebt würde. Wie der wünschenswerte Zustand benannt werden wird, das kümmert mich derzeit weniger. Unstrittig aber dürfte sein, dass Pläne und viele Verhandlungen an die Stelle des Marktes treten müssten.

Also Planwirtschaft?

Es stimmt natürlich, dass es in der Vergangenheit fehlgeleitete Planwirtschaften gab. Trotzdem sind Pläne notwendig, wenn Gesellschaften mit physischem Mangel und mit geopolitischer Knappheit konfrontiert sind und wenn es darum geht, sozial gerecht und friedlich mit diesen unvermeidlichen Konstellationen umzugehen. Dann braucht man zwangsläufig Rationierung. Ich verwende diesen Begriff, bei dem alle zusammenzucken, ganz bewusst, um deutlich zu machen: Wenn Wasser, fruchtbares Land und viele Metalle zu knappen Ressourcen werden, dann muss es Verhandlungen und global gerechte Entscheidungen darüber geben, wofür sie verwendet werden sollen.

Für Golfplätze oder für Trinkwasser …

Ja, oder für die Produktion von Wasserstoff als Energieträger, denn diese Technologie kann die Wasserknappheit vielerorts dramatisch verschärfen. Für diese Entscheidungen benötigen wir ein faires System des Interessenausgleichs. «Managed austerity» – eine gesteuerte Sparsamkeit in globalem Massstab. Unter den heutigen Bedingungen des Weltmarkts bestimmen die zahlungskräftigen Abnehmer, während alle anderen sehen können, wo sie bleiben.

Was können wir denn von der Zukunft erwarten?
Bevor es eine ökosozialistische Perspektive geben kann, werden wohl Chaos, Konflikte und gewalttätige Auseinandersetzungen zunehmen. Wichtiger als der Streit darüber, in welchem Mischverhältnis Staat und Gesellschaft, Plan und Markt in Zukunft stehen werden, scheint mir ein realistischer Blick in die absehbare Zukunft. Die Linke erweckt oft den Eindruck, als müsste der dritte Schritt vor dem ersten getan werden. Der erste Schritt bestünde aber darin, möglichst viele Menschen davon zu überzeugen, dass wir der Krise ins Auge schauen müssen, und dies möglichst sofort. Die Kraft für eine radikale Umwälzung der Verhältnisse können wir heute nicht aus dem tröstlichen Versprechen einer wunderbaren, glücklichen Zukunft beziehen. Nein, wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es gilt, das Schlimmste zu verhindern, und das muss als Antriebskraft genügen. Wir hätten die Aufgabe, heute Institutionen zu schaffen, die mit dieser Krise anders als nur zerstörerisch umgehen können.

 

Prognostizierte Extreme für verschiedene Grade der globalen Erwärmung aus dem IPCC-Bericht. Bild: RCraig09, CC BY-SA 4.0

Zum ersten Teil des CMIP6-Reports des Weltklimarates

Überall auf der Welt forschen Wissenschaftler zu Fragen des Klimas. Um die vielen verschiedenen Versionen der entwickelten Klimamodelle besser vergleichen zu können und die Forschungsbemühungen aufeinander abzustimmen, wurde Mitte der 1990er-Jahre vom Weltklimaforschungsprogramm (WCRP) das internationale Coupled Model Intercomparison Project (CMIP) ins Leben gerufen.

Die CMIP-Modelle wurden im Verlauf der letzten fast 30 Jahre mit zunehmender Komplexität und Qualität - also Genauigkeit - entwickelt. So wurde in den letzten Jahren die sechste Modellklasse (CMIP6) mit dem Bericht AR6 [1] mit größter Spannung erwartet, wobei aber schon viel davon vorab publiziert worden war.

Die Publikation des Berichtes am 9. August traf medial auf großes Echo. Es folgt noch eine zweite Publikation.

Einige Zusammenhänge, etwa die globale Wolkenbildung und die Wechselwirkung der Atmosphäre mit den Ozeanen, hatten sich lange nur unzureichend berechnen lassen.

Immer wieder zeigten sich darin neue Rückkopplungen, deren Auswirkungen nun, mit AR6, etwas besser verstanden sind - wenn auch immer noch nicht perfekt.

Mit der globalen Erwärmung und dem Abschmelzen von Eis ändert sich unter anderem der Salzwassergehalt in den Meeren. Diese Änderung beeinflusst die Meeresströmungen.

Doch wie sich dieser Effekt genau berechnen lässt und welche weiteren Temperatureffekte dies auslöst, weiß man zwar jetzt etwas besser, aber eben immer noch nicht sehr genau.


Ehrgeizige Modellgenauigkeit

Die Klimamodelle der CMIP6-Serie haben sich dieser Probleme weitaus intensiver gewidmet, doch zukünftige CMIP-Serien werden sich ihnen noch detaillierter und weiteren offenen Probleme annehmen müssen.

Die CMIP6-Modelle sind in ihrem Anspruch an die Modellgenauigkeit noch einmal wesentlich ehrgeiziger als ihre Vorgänger-Modelle. Zum Beispiel wurde in einigen von ihnen die räumliche Auflösung der Gitter, auf denen das globale Klima modelliert wird, auf unter 100 Kilometer gebracht.

Damit lassen sich die Effekte der Wolkenbildung auf das lokale und globale Klima besser erfassen. Zugleich steigt die zeitliche Dichte der Messungen deutlich an.

"Dieser Bericht ist unschätzbar für die künftigen Klimaverhandlungen und politischen Entscheidungsträger», sagte der Präsident des IPCC, der Süd-Koreaner Hoesung Lee.

Etwas dramatischer drückte es Erich Fischer, Klimaforscher an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und einer der leitenden IPCC-Autoren, aus:

    Der Klimazustand hat sich rasch weiterverändert, und das Zeitfenster, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen, geht allmählich zu.

Was bezeichnend für den Bericht ist, dass sich im Vergleich zu den Verhandlungen über die AR5-Publikation vor fast acht Jahren die Debatten offensichtlich viel reibungsloser verliefen.

Die IPCC-Autorenschaft setzte sich diesmal wohl klar gegen den bisher immer stattgefundenen Widerstand aus der Politik gegen klare Formulierungen durch. Zudem wurde die Wissenschaftlichkeit des Berichts nicht mehr angezweifelt.

So wird nun auch die Verantwortlichkeit klar dargestellt: Der Mensch ist gemäß IPCC klar und deutlich für die gesamte beobachtete Erderwärmung seit der vorindustriellen Zeit verantwortlich: 1,6 Grad auf dem Land, 0,9 Grad über dem Meer, 1,1 Grad im globalen Mittel.

Ihr Ergebnis fällt insgesamt erschütternd aus als von den meisten Menschen erwartet.

So könnte der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau, die ja gemäß dem Pariser Abkommen möglichst nicht überschritten werden sollte, bereits früher erreicht werden, als bisher angenommen. Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit wird sie bereits in den frühen Dreißigerjahren erreicht sein, wenn der Ausstoß von Treibhausgasen nicht drastisch reduziert wird.

1,5 Grad Erwärmung könnten schon 2040 erreicht sein

Im IPCC-Sonderbericht von 2018 [2] lag die Schätzung, wann die 1,5 Grad erreicht unter diesen Bedingungen wird, zwischen 2030 und 2052.

Heute liegt die Schätzung des allerspätestens Zeitpunkts bei 2040. Die Weltgemeinschaft wird damit wohl die Pariser Ziele krachend verfehlen, wenn der Treibhausgasausstieg nicht schneller und drastischer sinkt, so die Aussage des Berichtes.

Die Veröffentlichung des Berichtes fiel just in die katastrophalen Wochen mit Überschwemmung in Deutschland und der Schweiz, extreme Hitze in Kanada und dem Nordwesten der USA, Hitzerekorde in Nord- und Südeuropa, massive Feuer in der Türkei, und starke Überflutungen in China.

All dies – und insbesondere die Gleichzeitigkeit all dieser Ereignisse – wäre ohne die Hitzerekorde nicht möglich gewesen, so der Konsens der Klimaforscher.

In ausnahmslos allen Erdteilen werden extrem heiße Tage deutlich zunehmen. Zugleich wird es wahrscheinlicher, dass Hitzewellen und Dürren oder Starkregen und Stürme gleichzeitig auftreten.

Klar ist für die Klimaforscher auch, dass wir die kritische Zwei-Grad-Grenze höchstwahrscheinlich überschreiten, wenn wir die Treibhausgasemission nicht vor der Mitte des Jahrhunderts auf Null oder nahe Null senken.

Dies erscheint vielen als eine zu polemische Aussage. Aber in den Wissenschaften ist es eben nicht erlaubt, die Welt so zu sehen, wie sie die Politiker, Ökonomen und viele andere gerne hätten.

Vielmehr zeigen uns Wissenschaftler, wie sie wirklich ist. Und es ist wahrlich historisch bei Weitem nicht das erste Mal, dass sie damit auf öffentlichen Widerstand stoßen.

Lars Jaeger (geboren 1969 in Heidelberg, Deutschland) ist ein schweizerisch-deutschen Unternehmer, Wissenschaftler, Schriftsteller, Finanztheoretiker, alternativer Investmentmanager [3]. Er studierte Physik und Philosophie an der Universität Bonn in Deutschland und der ÉcolePolytechnique in Paris und hält einen Doktortitel in theoretischer Physikm welchen er in Studien am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme in Dresden erwarb, wo er auch Post-Doc-Studien unternahm.

 

Hallo ATTAC_is Flensburg,

die erste Aktion von Ende Gelände in Schleswig-Holstein (Brunsbüttel) ist erfolgreich zu Ende gegangen! (s. Link zur Abschluß-Erklärung hier unten) Wie eng Klimaschutz und Klimagerechtigkeit zusammenhängen und was dies mit dem Kampf gegen Neokolonialismus und Rassismus zu tun hat, ist wohl auf keiner der bisherigen Massen-Aktionen von Ende Gelände so deutlich geworden.

Das Fracking, wogegen hiesige Bürger:innen-Inis mit langem Atem bislang erfolgreich ein Moratorium erzielt haben, geht derweil hauptsächlich im globalen Süden sowie in Nordamerika / Kanada munter weiter. Ist es deswegen leichter für uns und die Umwelt zu ertragen?

Während hier Gegner:innen der Nutzung fossiler Energien immerhin als potentielle Wähler:innen ins Kalkül einbezogen werden, sind im Süden bislang etwa 1.500 Umwelt-Aktivist:innen und Angehörige indigener Völker wegen ihres Widerstands gegen diese Umwelt-Zerstörungen getötet worden. Können, wollen wir damit leben?

Ein paar persönliche Erfahrungen / Schlaglichter aus Brunsbüttel habe ich auch noch beigefügt.

Danke für euer Interesse, Per.


https://www.ende-gelaende.org/news/pressemitteilung-vom-1-8-2021-1300-uhr/
 
 

Ein Interview mit Greenpeace Handelsexperte Jürgen Knirsch

Ende Legende - 15.12.2020

Ein Segen für die Wirtschaft oder eine Klima-Vollkatastrophe? Über das geplante Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wurde in den vergangenen Monaten so einiges gesagt. Aber was davon stimmt denn jetzt eigentlich? Greenpeace hat eine klare Haltung dazu: Bei diesem Abkommen geht Profit vor. Vor Umwelt- und Klimaschutz. Vor Menschenrechten und dem Schutz der Indigenen. Und vor demokratischer Teilhabe. Im Gespräch räumt Greenpeace Handelsexperte Jürgen Knirsch mit den gängigen Aussagen von denen auf, die das Abkommen befürworten. Den kompletten und ausführlichen Faktencheck finden Sie hier.  

Mitte Dezember tagen die Mercosur-Staaten virtuell. Es ist zu erwarten, dass dort auch über wichtige transatlantische Handelsbeziehungen gesprochen wird. Unterstützerinnen und Unterstützer des EU-Mercosur Abkommens befürchten, dass der Mercosur sich bald für eine neue Handelspartnerin entscheidet, sollte die EU das Abkommen nicht zeitnah ratifizieren. Noch mehr Stimmen dazu wurden laut, nachdem China vor Kurzem dem RCEP-Abkommen (Regional Comprehensive Economic Partnership) beigetreten ist und damit die größte Freihandelszone der Welt geschaffen hat. Was passiert, wenn der Mercosur jetzt ein Handelsabkommen mit China abschließt?

Jürgen Knirsch: Zunächst einmal: Wir brauchen keine Handelsabkommen, um Handel zu betreiben – die EU betreibt bereits Handel mit den Mercosur-Ländern, und China ebenso. Europa und gerade auch Deutschland haben einen intensiven Handelsaustausch mit China – ebenfalls ohne ein Handelsabkommen. Tatsächlich streben die Mercosur-Länder dieses Abkommen mit der EU auch deshalb an, weil das Wachstum des Handels mit China nachlässt. Argentinien, im nächsten Jahr Vorsitz der Mercosur-Staaten, hat deutlich ausgesprochen, dass es außer EU-Mercosur keine weiteren Handelsabkommen will.

Die neue Freihandelszone zwischen den asiatischen und pazifischen Ländern schreckt die EU jetzt auf. Sie wird als Drohkulisse genutzt, da die chinesischen Standards im Handel schlechter als die europäischen seien. Es ist sicherlich richtig, Menschenrechtsverletzungen in China anzuprangern. Aber welche Konsequenzen folgen? Wer auf die Handelsströme schaut, sieht: Deutschland ist bisher mit Abstand Chinas größter europäischer Handelspartner. Und China war 2018 zum dritten Mal in Folge Deutschlands größter Handelspartner. In der ersten Jahreshälfte 2020 stieg China, bis zu dem kürzlich wegen der Fälle von Afrikanischer Schweinepest verhängten Importstopp, zum wichtigsten Abnehmer für Schweinefleisch aus Deutschland auf. Bei einem möglichen Handelsabkommen zwischen China und dem Mercosur müssen wir keine Angst haben, dass uns die Butter vom Brot genommen wird.

Viel wichtiger ist doch, dass die EU mit einer Bevölkerung von aktuell fast 450 Millionen Menschen eine hohe Kaufkraft und damit einhergehende Verantwortung hat. Sie sollte genutzt werden, um positive Veränderungen in der Welt herbeizuführen – zum Beispiel, um die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Indigenen zu schützen. Oder um sicherzustellen, dass unser Konsum nicht zur Forcierung der Klimakrise, der Zerstörung von Wäldern oder zu Menschenrechtsverletzungen beiträgt.

Die Wirtschaftsverbände suggerieren, das Abkommen sei eine große Chance für den Arbeitsmarkt, weil es viele neue Arbeitsplätze schaffe. Was ist da dran?

Die EU hat mittlerweile selber eingeräumt, dass das Abkommen wohl keine signifikante Zunahme an Arbeitsplätzen mit sich bringt. Diese Einschätzung wurde – fataler Weise – erst nach dem politischen Abschluss der Verhandlungen veröffentlicht.  Selbst im günstigsten Fall gehen die Prognosen der Kommission in der Auto- und Mobilitätsbranche lediglich von einem Anstieg um 0,5% aus. Seit dem Jahr 2011 ist diese Branche übrigens um 11,6% gewachsen – ganz ohne den Deal. Der Trend, in umweltfreundliche Verkehrsmittel zu investieren, würde neue, nachhaltige Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Fast fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze könnten entstehen, wenn die Länder der UN-Wirtschaftskommission der EU (UNECE) ihre Investitionen in den öffentlichen Verkehr verdoppeln würden.

Es gibt noch einige weitere Aussagen von den Befürworterinnen und Befürwortern des Abkommens, die wir in unserem Fakten-Check widerlegen konnten. Was mich aber besonders wurmt, ist die fehlende Transparenz.

Du spielst auf den weiteren politischen Prozess und das sogenannte “legal scrubbing” an - ein Vorgang, bei dem der Text des Abkommens noch einmal juristisch überprüft werden soll. Das hört sich doch erst einmal gut an, oder?

Erfahrungen aus dem “legal scrubbing” vorangehender Handelsabkommen, etwa dem CETA-Abkommen mit Kanada, haben gezeigt, dass die juristisch überarbeitete und bereinigte Fassung deutlich von der Textfassung abwich, auf die sich beide Vertragsseiten beim politischen Abschluss geeinigt hatten. Das finale Abkommen war damit ebenso gefährlich für Umwelt, Arbeitsschutz und die öffentliche Gesundheit wie der politisch ausgehandelte Text und enthielt nur kosmetische Änderungen.

Leider ist auch nicht bekannt, welche konkreten Vorschläge die EU den Mercosur-Länder unterbreitet, um die schädlichen Umwelt- und Klimafolgen des Abkommens zu begrenzen. Nach der zunehmenden Kritik aus Zivilgesellschaft und Politik versucht die EU-Kommission nun, die Kritikerinnen und Kritiker mit einer gemeinsame Zusatzerklärung zu beschwichtigen. Doch eine Zusatzerklärung kann bestenfalls die einzelnen Passagen des Abkommens erläutern, nicht aber die darin erhaltenen Schwachstellen ausbügeln. Sie wird auch nicht das Grundproblem des Abkommens, nämlich die schädlichen Auswirkungen, lösen können. Vorgaben zum Umwelt- und Klimaschutz, zur Einhaltung von Kernarbeitsnormen und des Vorsorgeprinzips sind nicht sanktionsbewehrt. Hält sich ein Vertragspartner nicht daran, passiert nichts.

Die Probleme lassen sich nur lösen, indem das Abkommen vollständig abgelehnt wird. Neue Verhandlungen müssen eingefordert werden und von Anfang an transparent, demokratisch legitimiert und kontrolliert durchgeführt werden. Seit 20 Jahren wird an dem Abkommen gearbeitet und es will mir nicht einleuchten, dass jetzt, wo es um den Schutz von Mensch und Natur geht, von Zeitverschwendung und überzogenen Ansprüchen gesprochen wird.

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Online-Treffen zu CETA für lokale Bündnisse und Aktive

13. Februar 2021, 13-17:30 Uhr, online

Im ersten Halbjahr 2021 will das Bundesverfassungsgericht über die noch ausstehenden CETA-Verfassungsbeschwerden entscheiden, danach könnte das Abkommen durch Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden. Welche Gefahren für Klima, Daseinsvorsorge und Demokratie bergen die CETA-Paralleljustiz sowie die regulatorischen Gremien? Und was können wir auf lokaler und regionaler Ebene tun, um die Ratifizierung des Abkommens noch zu verhindern? 

Mehr Infos zu Programm und Anmeldung gibt es ab Mitte Januar unter www.gerechter-welthandel.org

Zu diesem Thema liegt ein Papier der Online-Konferenz zu CETA am 17. Mai 2020 einer Arbeitsgruppe lokaler, freihandelskritischer Bündnisse und Initiativen vor, welches die aktuellen Kritikpunkte zusammenfasst:

https://www.gerechter-welthandel.org/wp-content/uploads/2020/11/CETA-Desaster-f%C3%BCr-Klima-Daseinsvorsorge-und-Demokratie.pdf

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Die Anti-Corona-Demonstrationen und die Sprachlosigkeit progressiver Kritik.

Von Gerhard Hanloser -  29.08.2020 - nd

Linke mit klammheimlicher Freude an Coronaleugnerdemos und Solidaritätsgefühl für die Coronarebellen - gibt es das? Ja. Ein kleiner Teil jenseits des Mainstreams der Linken artikuliert sogar deutliches Einverständnis in Alternativmedien wie »Rubikon« und sammelt sich in kleinen Bestätigungsgemeinschaften der letzten Aufrechten.

Sie werden vom Ressentiment getrieben, der »leeren Negation«, wie man im Hegeljahr sagen könnte. Sie sind faktenresistent und in ihren entgrenzten Warnungen vor einer »Corona-Diktatur« scheinen sie einen alten Militantismus der Neuen Linken zu beerben, betreiben aber nur die Zerstörung der Vernunft. Vor einem ominösen »Diskurs der Macht« verblasst die Realität des Virus. Sie schwadronierten in verzückter Fernsolidarität mit den Aufmärschen der diffusen Rebellen von einer »Freiheitsbewegung«, die irgendwelchen ominösen Machtinteressen entgegenstehen würde.

Für die realen Parolen, die soziale Zusammensetzung wie die erdrückende Anzahl rechter Strukturen und Einzelpersonen in den Aufmärschen sind sie strategisch blind. Den rabiaten egozentrischen Neoliberalismus in der Freiheitsemphase wollen sie nicht erkennen. Erstaunlich ist, dass unter diesen aus der Linken kommenden Intellektuellen ein ganzer Haufen Psychoanalytiker und Therapeuten zu finden ist. Neben einer falschen Demut vor den »einfachen Leuten«, die sie in den Protestierenden sehen wollen, mischt sich in den elitären Populismus die Arroganz von Bessergestellten und Saturierten gegenüber einem potenziell tödlichen Virus, der weltweit die arbeitenden Armen trifft. Das Hofieren der diffusen, egoistischen bis faschistoid aufgeladenen Coronarebellen-Szene zeigt eine barbarische Tendenz an, die in Umbruchssituationen auch immer einen Teil des intellektuellen Bürgertums erfasst.

Ein »Anti« ins Leere

Doch dies stellt nur den Narrensaum einer zerfransten Linken dar. Was auf der anderen Seite übrig geblieben ist, sind überforderte Antifaschist*innen, die ihre anfänglichen Anti-Parolen wie »Gegen Querfront« oder »Keine Chance den Verschwörungstheoretikern« auch in den regierungsnahen Presseorganen lesen konnten. Besonders aktivistische Antifaschist*innen stopften in der Vergangenheit die Zeitungen der Hygienedemoaktivisten vor der Volksbühne ungelesen in Papierkörbe und wurden dafür als »rote Faschisten« bezeichnet - von Menschen, die so gar nicht dem typischen Bild des »Rechten« entsprachen, ja vielleicht sogar eher wie Anti-Atom-Demonstrant*innen der 1970er und 1980er daherkamen.

Wacker protestieren »Omas gegen rechts« und andere linke Vereinigungen gegen eine Bewegung an, die seit ihrem Entstehen immer deutlicher zum Tummelfeld für Rechtsradikale wurde. Doch die antifaschistischen Vorhaltungen, hier demonstrierten Nazis, prallten auch an scheinbar normalen Demonstrant*innen einfach ab. Unter den über 20.000, die am 1. August in Berlin demonstrierten, war nur eine Minderheit klar rechtsradikal. Antifaschismus allein half und hilft offensichtlich nicht weiter.

Die marxistische Linke sah in den Corona-Maßnahmen der Regierung eine notwendige, sogar zu spät ergriffene Maßnahme zur Unterbindung der Pandemie, machte aber auch auf die Folgen aufmerksam: Firmenpleiten der kleinen Wirtschaftsakteure, Armut, Vereinsamung in den unteren Klassen, staatsinterventionistische Unterstützung großer Konzerne. Die schlagartig mobilisierte Verschuldungspolitik überlagerte außerdem die aufgeschobene Krisentendenz des Kapitals, und irgendwann werden die abhängig Beschäftigten, die jetzt schon von Corona betroffen sind, die Krise und die Politik der Regierenden ausbaden müssen. Gegenwehr ist also notwendig.

Doch derartige Analysen lassen sich nur schwer zu Parolen vereinfachen. Diese fehlten folglich auf der Straße. Manch braver DKP-Schreiber wollte ohnehin nur den Familienbetrieb zusammenhalten und warnte die eigene Gemeinde davor, sich mit »denen«, dem gefährlichen, infektiösen Straßenmob, »einzulassen«. Der traditionskommunistische Hinweis auf das angeblich gelungene Krisenmanagement in der Volksrepublik China wirkt so wenig glaubwürdig wie es politische Attraktivität beinhaltet. Will man mit diesen Leuten Bürgerrechte gegen den überhand nehmenden Notstandsstaat verteidigen? Und für die regierende Linke sind Leute auf der Straße immer eher ein Ärgernis und Sicherheitsproblem als ein Zeichen des Aufbruchs.

Die Linke ist nicht mehr ein Pol konkreter Negation des Bestehenden. Sie leidet nicht nur an Mangel an Ausstrahlung und Selbstbewusstsein, sondern auch unter fehlender sozialer Fantasie, die sie einst im Zuge der italienischen Autonomia und des Spontaneismus gelernt hatte. »Wir zahlen die Coronakrise nicht«, »Öffentliche Infrastruktur jetzt!«, »Totschuften in und nach der Krise? - Nicht mit uns!«, »Wir wollen alles - nur nicht den Virus!«. Parolen dieser Art waren Mangelware.

Während der Wiener Identitäre Martin Sellner strategisch geschickt reflektiert, inwiefern sich die teils unpolitischen, teils ungerichteten, teils rechtsoffenen Demonstrationen und Aufmärsche zu einer völkischen und anti-migrantischen Bewegung verdichten lassen, hat die radikale Linke von vornherein Abstand zu Protest und Straße gehalten. Die Anliegen der Proletarisierten, der Außerkursgesetzten und der sozial wie psychisch mit Lockdown-Folgen Überforderten hat niemand in Worte gefasst. Niemand hat auf der Straße die unterschiedlichen Interessen derjenigen benannt, die vereint als »Coronarebellen« demonstrierten.

Strauchelnde Suchbewegungen

Dabei waren deren soziale wie ideologische Träger höchst divers - und damit auch spezifisch adressierbar, um einen Keil zwischen diese unterschiedlichen Kräfte zu treiben: Mittelständler, prekär Beschäftigte, Nazis, arbeitslose Hippies, egoistische Partypeople, entnervte Alleinerziehende und vielköpfige Familien. Hier gehört nicht fest zusammen, was zusammen demonstriert. Neben den reaktionären Neoliberalen, die mit »Freiheit!« ein Zurück zur Vor-Corona-Zeit meinen, und den faschistisch-völkischen Kernen, die »Freiheit« rufen und ein Reich oder den Ethnonationalstaat meinen, gab und gibt es auch die vielen Versprengten, die sprachlos etwas ganz anderes wollen - nur was?

Die ideologischen Muttermale dieser Suchbewegung, die über den Status quo hinaus wollte, hätte man etwa in der Zeitung »Demokratischer Widerstand« besichtigen und in Gesprächen mit einigen Teilnehmenden bestaunen können. Nicht alles daran war hässlich. So formulierten diese zeitungsschreibenden Hygienedemonstrant*innen sogar Solidaritätsbekundungen für die multiethische Jugendrebellion in Stuttgart. Rechtsoffen ist anders. Wenn die Linke nur noch Rechte sieht, auch wo keine sind, hat sie verloren. Wenn sie sich für die Strauchelnden, Unklaren und Suchenden nicht mehr interessiert und diese nicht mehr von den falschen Propheten zu isolieren versucht, ist es nicht erstaunlich, wenn die Rechten abräumen.

Gerhard Hanloser beobachtet die einschlägigen Demos seit Monaten und hat dazu publiziert.