Ein Interview mit Greenpeace Handelsexperte Jürgen Knirsch
Ende Legende - 15.12.2020
Ein Segen für die Wirtschaft oder eine Klima-Vollkatastrophe? Über das geplante Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay wurde in den vergangenen Monaten so einiges gesagt. Aber was davon stimmt denn jetzt eigentlich? Greenpeace hat eine klare Haltung dazu: Bei diesem Abkommen geht Profit vor. Vor Umwelt- und Klimaschutz. Vor Menschenrechten und dem Schutz der Indigenen. Und vor demokratischer Teilhabe. Im Gespräch räumt Greenpeace Handelsexperte Jürgen Knirsch mit den gängigen Aussagen von denen auf, die das Abkommen befürworten. Den kompletten und ausführlichen Faktencheck finden Sie hier.
Mitte Dezember tagen die Mercosur-Staaten virtuell. Es ist zu erwarten, dass dort auch über wichtige transatlantische Handelsbeziehungen gesprochen wird. Unterstützerinnen und Unterstützer des EU-Mercosur Abkommens befürchten, dass der Mercosur sich bald für eine neue Handelspartnerin entscheidet, sollte die EU das Abkommen nicht zeitnah ratifizieren. Noch mehr Stimmen dazu wurden laut, nachdem China vor Kurzem dem RCEP-Abkommen (Regional Comprehensive Economic Partnership) beigetreten ist und damit die größte Freihandelszone der Welt geschaffen hat. Was passiert, wenn der Mercosur jetzt ein Handelsabkommen mit China abschließt?
Jürgen Knirsch: Zunächst einmal: Wir brauchen keine Handelsabkommen, um Handel zu betreiben – die EU betreibt bereits Handel mit den Mercosur-Ländern, und China ebenso. Europa und gerade auch Deutschland haben einen intensiven Handelsaustausch mit China – ebenfalls ohne ein Handelsabkommen. Tatsächlich streben die Mercosur-Länder dieses Abkommen mit der EU auch deshalb an, weil das Wachstum des Handels mit China nachlässt. Argentinien, im nächsten Jahr Vorsitz der Mercosur-Staaten, hat deutlich ausgesprochen, dass es außer EU-Mercosur keine weiteren Handelsabkommen will.
Die neue Freihandelszone zwischen den asiatischen und pazifischen Ländern schreckt die EU jetzt auf. Sie wird als Drohkulisse genutzt, da die chinesischen Standards im Handel schlechter als die europäischen seien. Es ist sicherlich richtig, Menschenrechtsverletzungen in China anzuprangern. Aber welche Konsequenzen folgen? Wer auf die Handelsströme schaut, sieht: Deutschland ist bisher mit Abstand Chinas größter europäischer Handelspartner. Und China war 2018 zum dritten Mal in Folge Deutschlands größter Handelspartner. In der ersten Jahreshälfte 2020 stieg China, bis zu dem kürzlich wegen der Fälle von Afrikanischer Schweinepest verhängten Importstopp, zum wichtigsten Abnehmer für Schweinefleisch aus Deutschland auf. Bei einem möglichen Handelsabkommen zwischen China und dem Mercosur müssen wir keine Angst haben, dass uns die Butter vom Brot genommen wird.
Viel wichtiger ist doch, dass die EU mit einer Bevölkerung von aktuell fast 450 Millionen Menschen eine hohe Kaufkraft und damit einhergehende Verantwortung hat. Sie sollte genutzt werden, um positive Veränderungen in der Welt herbeizuführen – zum Beispiel, um die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Indigenen zu schützen. Oder um sicherzustellen, dass unser Konsum nicht zur Forcierung der Klimakrise, der Zerstörung von Wäldern oder zu Menschenrechtsverletzungen beiträgt.
Die Wirtschaftsverbände suggerieren, das Abkommen sei eine große Chance für den Arbeitsmarkt, weil es viele neue Arbeitsplätze schaffe. Was ist da dran?
Die EU hat mittlerweile selber eingeräumt, dass das Abkommen wohl keine signifikante Zunahme an Arbeitsplätzen mit sich bringt. Diese Einschätzung wurde – fataler Weise – erst nach dem politischen Abschluss der Verhandlungen veröffentlicht. Selbst im günstigsten Fall gehen die Prognosen der Kommission in der Auto- und Mobilitätsbranche lediglich von einem Anstieg um 0,5% aus. Seit dem Jahr 2011 ist diese Branche übrigens um 11,6% gewachsen – ganz ohne den Deal. Der Trend, in umweltfreundliche Verkehrsmittel zu investieren, würde neue, nachhaltige Arbeitsplätze vor Ort schaffen. Fast fünf Millionen zusätzliche Arbeitsplätze könnten entstehen, wenn die Länder der UN-Wirtschaftskommission der EU (UNECE) ihre Investitionen in den öffentlichen Verkehr verdoppeln würden.
Es gibt noch einige weitere Aussagen von den Befürworterinnen und Befürwortern des Abkommens, die wir in unserem Fakten-Check widerlegen konnten. Was mich aber besonders wurmt, ist die fehlende Transparenz.
Du spielst auf den weiteren politischen Prozess und das sogenannte “legal scrubbing” an - ein Vorgang, bei dem der Text des Abkommens noch einmal juristisch überprüft werden soll. Das hört sich doch erst einmal gut an, oder?
Erfahrungen aus dem “legal scrubbing” vorangehender Handelsabkommen, etwa dem CETA-Abkommen mit Kanada, haben gezeigt, dass die juristisch überarbeitete und bereinigte Fassung deutlich von der Textfassung abwich, auf die sich beide Vertragsseiten beim politischen Abschluss geeinigt hatten. Das finale Abkommen war damit ebenso gefährlich für Umwelt, Arbeitsschutz und die öffentliche Gesundheit wie der politisch ausgehandelte Text und enthielt nur kosmetische Änderungen.
Leider ist auch nicht bekannt, welche konkreten Vorschläge die EU den Mercosur-Länder unterbreitet, um die schädlichen Umwelt- und Klimafolgen des Abkommens zu begrenzen. Nach der zunehmenden Kritik aus Zivilgesellschaft und Politik versucht die EU-Kommission nun, die Kritikerinnen und Kritiker mit einer gemeinsame Zusatzerklärung zu beschwichtigen. Doch eine Zusatzerklärung kann bestenfalls die einzelnen Passagen des Abkommens erläutern, nicht aber die darin erhaltenen Schwachstellen ausbügeln. Sie wird auch nicht das Grundproblem des Abkommens, nämlich die schädlichen Auswirkungen, lösen können. Vorgaben zum Umwelt- und Klimaschutz, zur Einhaltung von Kernarbeitsnormen und des Vorsorgeprinzips sind nicht sanktionsbewehrt. Hält sich ein Vertragspartner nicht daran, passiert nichts.
Die Probleme lassen sich nur lösen, indem das Abkommen vollständig abgelehnt wird. Neue Verhandlungen müssen eingefordert werden und von Anfang an transparent, demokratisch legitimiert und kontrolliert durchgeführt werden. Seit 20 Jahren wird an dem Abkommen gearbeitet und es will mir nicht einleuchten, dass jetzt, wo es um den Schutz von Mensch und Natur geht, von Zeitverschwendung und überzogenen Ansprüchen gesprochen wird.
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Online-Treffen zu CETA für lokale Bündnisse und Aktive
13. Februar 2021, 13-17:30 Uhr, online
Im ersten Halbjahr 2021 will das Bundesverfassungsgericht über die noch ausstehenden CETA-Verfassungsbeschwerden entscheiden, danach könnte das Abkommen durch Bundestag und Bundesrat ratifiziert werden. Welche Gefahren für Klima, Daseinsvorsorge und Demokratie bergen die CETA-Paralleljustiz sowie die regulatorischen Gremien? Und was können wir auf lokaler und regionaler Ebene tun, um die Ratifizierung des Abkommens noch zu verhindern?
Mehr Infos zu Programm und Anmeldung gibt es ab Mitte Januar unter www.gerechter-welthandel.org
Zu diesem Thema liegt ein Papier der Online-Konferenz zu CETA am 17. Mai 2020 einer Arbeitsgruppe lokaler, freihandelskritischer Bündnisse und Initiativen vor, welches die aktuellen Kritikpunkte zusammenfasst:
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