Montag, 12. März 2018

Kritik der „Imperialen Lebensweise“
Vortrag und Diskussion mit Dr. Markus Wissen
Zum Buch:  Ulrich Brand/Markus Wissen - Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus, oekom-verlag, 14,95 €

12.03.2018, 19.30 Uhr, Flensburg, aktivitetshuset, Norderstr. 49


Kritik der imperialen Lebensweise
Zum örtlichen Biomarkt im SUV - warum fahren Menschen mit hohem Umweltbewusstsein trotzdem ein derart umweltfeindliches Auto?
Warum fliegen Grünen-WählerInnen statistisch häufiger als die AnhängerInnen anderer Parteien?
Warum bewegt sich gesellschaftlich und politisch kaum etwas trotz eines zunehmenden Wissens um die ökologische Krise?

Der Begriff der „Imperialen Lebensweise“ gibt Antworten auf diese Fragen.
Er verweist darauf, dass das alltägliche Leben in den kapitalistischen Zentren nur durch den unbegrenzten Zugriff auf die Rohstoffe, das Arbeitsvermögen und die Ökosysteme in der Peripherie ermöglicht wird – mit der Folge, dass sich dort Gewalt, Entwurzelung, Hunger, Seuchen, Epidemien, ökologische Zerstörung und politisch-gesellschaftliches Chaos ausbreiten. Die Imperiale Lebensweise beruht auf einer Art gesellschaftsstabilisierendem Kompromiss zwischen den Interessen der Herrschenden und breiteren Schichten der Bevölkerung.
Die Analyse der Imperialen Lebensweise führt zu der Frage, wie sich dieser gesellschaftliche Konsens von Regierten und Herrschenden herstellt - und sie mündet in dem Versuch, Mittel und Wege herauszuarbeiten, damit emanzipatorisches Handeln im Sinne einer solidarischen Lebensweise sich Bahn brechen kann.

Markus Wissen wird zentrale Thesen des Buches "Imperiale Lebensweise" vorstellen.
Nach unserer Überzeugung bieten sie neue Perspektiven und sind ein brisanter Beitrag zur politischen Debatte.


Zur Person: Dr. Markus Wissen ist Prof. für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt sozial-ökologische Transformationsprozesse an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin; Mitglied der PROKLA-Redaktion; lange Zeit in der BUKO aktiv.

Veranstalter: Initiativkreis Flensburg - Ein andere Welt ist möglich! in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung-SH

Hinweis, eine Bitte - um Anmeldung wird gebeten unter:

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+++ Mehr Demokratie: „Wir bleiben dran“ +++
Volksinitiative „SH stoppt CETA“ nimmt die erste Hürde

Die Volksinitiative „SH stoppt CETA“ hat die erste Hürde genommen. Wie der Landtag der Initiative mitteilte, sind 20.954 der 25.612 eingereichten Unterschriften gültig. Ein breites Bündnis aus Vereinen, Parteien und Verbänden will mit der Volksinitiative die Landesregierung auf ein „Nein“ zu CETA im Bundesrat verpflichten.

„Wir haben die erste Hürde geschafft – jetzt geht unser Weg gegen CETA weiter“, sagt Claudine Nierth, Vorstandssprecherin von Mehr Demokratie und Vertrauensperson der Volksinitiative. „CETA ist noch lange nicht besiegelt. In Deutschland müssen Bundestag und Bundesrat darüber entscheiden. Das ist unsere Chance, CETA zu stoppen.“

Die im Bundesrat notwendige Mehrheit für CETA sei nicht gesichert, erklärt Nierth. Wenn genug Bundesländer „Nein“ zu CETA sagen oder sich bei der Abstimmung enthalten, könne Deutschland dem demokratiegefährdenden Abkommen nicht zustimmen.

 

Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA sind in aller Munde. Weniger bekannt ist das sogenannte Dienstleistungsabkommen „Trade in Services Agreement“ (TiSA). Das ist erstaunlich, handelt es sich bei TiSA doch um das derzeit größte Freihandelsabkommen, das seit 2013 unter strengster Geheimhaltung von 50 Staaten verhandelt wird. Der Buchautor und VWL-Lehrbeauftrage Ulrich Mössner hat sich intensiv mit TiSA beschäftigt. In einem Interview mit den NachDenkSeiten blickt Mössner hinter die Kulissen von TiSA. Das Interview führt Rolf-Henning Hintze.

Im Gegensatz zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA ist das Dienstleistungsabkommen TiSA in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt. Es ist zu vermuten, dass TiSA noch in diesem Jahr abgeschlossen werden könnte. Woran liegt es, dass der Informationsrückstand so groß ist?

Die Hauptursache dafür ist, dass die TiSA-Verhandler, das sind ja immerhin 23 Länder oder Ländergruppen, strikteste Geheimhaltung vereinbart haben. Und daran hält sich ganz offensichtlich jeder, und dadurch kommt weder was im Fernsehen noch in der Presse, die breiteste Informationsquelle, die wir haben, aber auch erst seit einigen Monaten, sind Leaks, die man im Internet findet, in dem Fall von Wikileaks. Aber nachdem das alles in Englisch ist, noch dazu in einem Wirtschaftsenglisch, helfen auch die Leaks in der breiten Öffentlichkeit nicht, sich damit zu beschäftigen. Ganz im Gegensatz zu der Gefährlichkeit von TiSA.

Würde mit TiSA eine verbesserte Bankenregulierung erschwert oder sogar unmöglich?

Der Bankenbereich ist bei TiSA ein ganz wunder Punkt. Dort merkt man ziemlich eindeutig, dass die Bankenlobby es geschafft hat, Formulierungen reinzubringen, die eine künftige Regulierung des Bankenbereichs extrem erschwert, ja sogar Re-Regulierungen nach der Finanzkrise wieder zurücknehmen werden. Im Kleingedruckten findet man dann Beispiele, die sogenannte Volcker-Regel in den USA, mit der man das Investment-Bankengeschäft vom normalen Bankengeschäft trennen will, getrennt hat. Dies soll jetzt wieder aufgehoben werden, was ganz dramatische Folgen haben könnte, und die Einschränkung des Handels mit Derivaten desgleichen. Da sieht man, in welche Richtung das Ganze geht.

Ein besonders problematischer Punkt in TiSA ist die öffentliche Daseinsvorsorge. Kritiker sagen, diese sei gefährdet. Öffentliche Daseinsvorsorge klingt in den Ohren vieler sehr abstrakt, aber mit TiSA könnte sich unser Leben enorm verändern. Inwiefern?

Zur öffentlichen Daseinsvorsorge gehören beispielsweise Wasserversorgung, Energieversorgung, Stadtwerke, viele kulturelle Einrichtungen, die Schulen und die Hochschulen, und bei diesen Beispielen sehen Sie schon, wie intensiv die öffentliche Daseinsvorsorge unser gesamtes Leben mit beeinflusst. Und vor diesem Hintergrund ist es bei uns sowohl im Grundgesetz als auch im Kommunalrecht festgelegt, dass diese Dinge unter kommunaler oder Länderhoheit stehen sollten und nicht profitorientiert, sondern gemeinwohlorientiert gemacht werden. Ein Beispiel: Es gibt sehr gute private Krankenhäuser, die richten aber ihr Geschäftsfeld immer so aus, dass der Gewinn am höchsten ist, und nicht am Gemeinwohl. Oder der öffentliche Nahverkehr, auch dort ist das Problem, was wir heute ja auch teilweise bei der Deutschen Bahn schon sehen: Wenn ich nur am Gewinn mein Schienennetz und Zugrichtungen usw. ausrichte, dann bleibt eben die breite Fläche unbedient, weil ich dort nicht so viel Geld verdienen kann.

Ein weiterer wichtiger Bereich sind Arbeitnehmerrechte, die auch wiederum gefährdet wären, wenn TiSA durchkäme. In welcher Hinsicht wären Arbeitnehmerrechte bedroht?

Da sind drei Ebenen zu sehen. Die erste: Durch TiSA bekämen transnationale Dienstleistungskonzerne das Recht, weitgehend ungehindert Personal über die Grenzen zu transferieren. Das heißt, wir schaffen hier Wanderarbeiter mit sehr ungeklärten Arbeitsverhältnissen. Die zweite Ebene ist, dass durch diese Wanderarbeiter, die wohlgemerkt nach Konditionen des jeweiligen Heimatlandes angestellt und bezahlt werden, örtliche Arbeitsrechte, Mitbestimmungsrechte, Arbeitszeiten usw. unterlaufen werden können. Und als Drittes werden in Zukunft noch neue E-Commerce-Konstellationen dazukommen, dass hier grenzüberschreitende Dienstleistungen produziert werden, Outsourcing-Modelle, die bestehende Arbeitsstrukturen völlig durcheinanderwerfen werden und in Zukunft Arbeitsvertragsstrukturen und Mitbestimmungsrechte indirekt beeinflussen werden, und zwar negativ.

Bleiben wir mal bei dem Beispiel private Krankenhäuser. Chile ist eines der 50 Länder, die bei TiSA dabei sind. Könnte ein chilenisches Unternehmen in einer deutschen Großstadt also ein Krankenhaus betreiben und könnte es dann Personal aus Chile, bezahlt nach chilenischen Tarifen, hier einsetzen?

Ja. Das ist zwar jetzt nicht für das gesamte Personal vorgesehen, sondern, wie es heißt, für Führungspersonal und für Spezialisten. Aber die Definition von Spezialisten ist natürlich ungeheuer schwierig, gerade in Krankenhäusern, das könnte auch Pflegepersonal sein. Das wird zwar wohl nicht in erster Linie in Frage kommen, aber es könnte sein. Das ist ein gutes Beispiel, wo unsere örtlichen Arbeitskonditionen in Mitleidenschaft gezogen würden.

Spezialisten sind ja ein weites Feld. Krankenhäuser z.B. hängen heute von Computern ab, da wäre es ja ohne weiteres vorstellbar, dass die Computerspezialisten in Chile ein sehr viel geringeres Gehalt haben und trotzdem hierher kommen und einheimische Arbeitnehmer ersetzen.

Ja, das ist ein gutes Beispiel, genau diese Befürchtung habe ich auch.

Ein ganz wesentlicher Bereich, den TiSA eröffnen würde, sind neue Klagemöglichkeiten gegen Staaten, die gesetzliche Bestimmungen verschärfen. Was wäre im Einzelnen zu befürchten?

Zunächst muss man mal festhalten, dass in TiSA im Vergleich zu TTIP oder CETA keine Klagemöglichkeiten für Unternehmen gegen Staaten vorgesehen sind, sondern das Schiedsverfahren der Welthandelsorganisation WTO. Das gilt nur zwischen Ländern der WTO. Unternehmen können dann also nicht mehr direkt klagen, sondern sie müssen sich an ihre Regierungen wenden und sagen: Ich bin unfair behandelt worden. Das ist, sag ich mal, der positive Aspekt. Der negative Aspekt ist aber, dass durch die Formulierung von TiSA neue, sehr breite Anspruchsgrundlagen für Klagen gelegt werden, sodass damit zu rechnen ist, dass dadurch die Schiedsgerichtsbarkeit der WTO sehr viel intensiver in Anspruch genommen wird als bisher.

Das wäre dann ein gewisser Umweg, dass man zunächst die eigene Regierung konsultieren muss, und die stellt dann fest, dass da gegen bestimmte TiSA-Regeln verstoßen wurde.

Genau so ist es, nur mit einem positiven Nebeneffekt: Das Problem bei den privaten Schiedsstellen waren ja im wesentlichen die Schadenersatzklagen, und die WTO sieht keine Schadenersatzklagen vor, sondern will feststellen, ob ein bestimmtes Land, das TiSA angehört, sich wettbewerbskonform verhält oder eben nicht. Und wenn sich ein Land nicht wettbewerbskonform verhält, dann hat das klagende Land die Möglichkeit, Gegenmaßnahmen vorzunehmen, also Strafzölle und ähnliches.

Grundsätzlich verspricht die EU-Kommission durch TiSA mehr Wachstum und mehr Arbeitsplätze. Wie glaubhaft ist das?

Dieses Versprechen kannten wir ja schon von TTIP und von CETA, und an beiden Beispielen haben Gutachten diese vollmundigen Versprechen widerlegt. Seit Januar dieses Jahres gibt es nun ein Gutachten der Beratungsfirma Ecoris – und zwar im Auftrag der EU-Kommission – , und dieses Gutachten hat zum Ergebnis, dass das Wachstumspotenzial für die EU – jetzt halten Sie sich fest – ganze 0,1 Prozent sein würden, und zwar aufsummiert bis zum Jahr 2025! Das ist wirtschaftlich so gut wie gar nichts. Und Auswirkungen auf Arbeitsplätze werden dort überhaupt nicht festgestellt. Wenn man dann noch die Hoffnung hätte, dass Verbraucherpreise fallen könnten, kommt das Gutachten zum Ergebnis, bei den Verbraucherpreisen wird sich sogar noch weniger bewegen: 0,0 Prozent ! Diese Versprechungen sind nichts als heiße Luft.

TiSA enthält auch eine Bestimmung, die den Regierungen ausdrücklich ein „Right to regulate“, also ein Recht auf eigene gesetzliche Maßnahmen, zubilligt. Das hört sich erst einmal nicht schlecht an. Was verbirgt sich dahinter?

Ganz wichtig für TiSA ist zum Beispiel der Grundsatz der Nichtdiskriminierung, also neue Regulierungen dürfen nicht diskriminierend sein. Durch TiSA werden ausländische Unternehmen immer behandelt wie inländische Unternehmen. Aber das zweite, was in TiSA als Beschränkung der Regulierungsmöglichkeit drin steht, ist: Eine Regulierung darf nicht exzessiv sein – und was exzessiv ist, entscheidet nun nicht irgendein Richter, sondern entscheidet das Schiedsgericht nach Kriterien von TiSA! Und TiSA legt hier den internationalen Standard an: also Dinge, die jetzt international als Standard angesehen werden können, z.B. Ausstieg aus der Kernkraft, der bei uns ja demokratisch entschieden worden ist, ist international kein Standard. Oder die Verwendung von Gentechnik ist durchaus internationaler Standard, wird aber in Europa und in Deutschland nicht gewünscht. Solche Regelungen könnten dann mit TiSA eben nicht mehr von den einzelnen Staaten beschlossen werden.

Und wenn Veränderungen an TiSA-Regeln vorgenommen werden sollen, kann das nur einstimmig geschehen, es müssen also alle 50 Teilnehmerstaaten zustimmen.

Richtig.

TiSA ist ja nicht von Regierungen erfunden worden – wer sind eigentlich die treibenden Kräfte hinter diesem Abkommen?

Das sind im wesentlichen Lobbyorganisationen, die mit internationalem Dienstleistungshandel zu tun haben. Dazu zählen beispielsweise Global Service Coalition, US Coalition of Service Industries oder das European Services Forum oder das Business Europe. Erstaunlich ist, dass beispielsweise beim European Services Forum natürlich die großen deutschen Dienstleister wie Deutsche Bank, DHL und Telekom mit dabei sind, aber eben auch amerikanische Dienstleistungskonzerne wie IBM, Microsoft, KPMG usw., also es ist eine Dienstleistungslobby rechts und links des Atlantiks.

Datum: 9. August 2017 um 10:32 Uhr

Artikel-Adresse: http://www.nachdenkseiten.de/?p=39559
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Friedlich 76.000 Menschen demonstrierten am Samstag gegen die Politik der G20 und für grenzenlose Solidarität. Kurden, Flüchtlinge und Antikapitalisten zogen durch Hamburg. Sie setzten ein Zeichen gegen die Ausschreitungen vom Vorabend. Die Veranstalter sprachen von der größten Demo in Hamburg seit den 80er Jahren 

Aus Hamburg Christian Jakob und Jean-Philipp Baeck - taz, 10.07.2017

Eine Rednerin brachte es auf den Punkt. In Richtung der Polizei sagte sie: „Überlegt euch gut, welche Bilder ihr produzieren wollt, lasst das hier sein, was es ist: ein Fest der Solidarität.“

Gewalt und Demoverbote prägten die Woche, entsprechend schwarz sahen viele für den Abschluss der Gipfelproteste am Samstag. Bis zu 100.000 Menschen sollten teilnehmen. Die Zahl hatten Gipfelgegner als Zielmarke für die Großdemo am Samstag ausgegeben. Doch würden nach den schweren Ausschreitungen der beiden Vorabende tatsächlich noch solche Massen in Hamburg auf die Straße gehen?

Die Antwort darauf gab am Samstagmittag ein nicht zu überblickender kilometerlanger Demonstrationszug, der sich gegen das Treffen der G20 in Bewegung setzte. An der Spitze liefen die Linken-Vorsitzende Katja Kipping und der Grünen-Altlinke Hans-Christian Ströbele, davor Dutzende Polizisten.

Vollkommen friedlich lief die Menge durch die Hamburger Innenstadt. Die Veranstalter sprachen zunächst von etwa 40.000 Gipfelgegnern, die sich ab 11 Uhr vor den Deichtorhallen in der Nähe des Hauptbahnhofs versammelt hatten. Als die Spitze der Demo gegen 15 Uhr die Reeperbahn erreichte, korrigierten sie die Zahl auf 76.000. Die Polizei will am Ende 50.000 gezählt haben.

„Grenzenlose Solidarität statt G20“ war das Motto, aufgerufen hatten unter anderem die Partei die Linke, die Interventionistische Linke, der Kurdenverband Nav-Dem, Gewerkschaftsjugend und einige kirchliche Gruppen. Angemeldet hatte die Demo der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken aus Hamburg. „Die Herrschaften, die dort hinten tagen, treffen Entscheidungen, die nicht demokratisch legitimiert sind“, sagte van Aken bei der Abschlusskundgebung – „die Demokratie steht hier“. Er sagte, die „völlig sinnentleerte Gewalt“ des Vortags sei scharf zu verurteilen: „Davon distanzieren sich alle, einschließlich der Hamburger Autonomen.“

Die Polizei hatte am Samstagmorgen gewarnt, dass sich die Randalierer vom Vorabend unter die Demo mischen würden. „Es ist davon auszugehen, dass erneut kein friedlicher Protest möglich sein wird“, sagte Polizeipräsident Ralf Meyer. Von kleineren Rangeleien abgesehen, ließen die Beamten den Zug laufen. Polizeispaliere begleiteten die Blöcke der Demo, in der auch einige Menschen liefen, die schwarz gekleidet waren. Teilweise schloss sich eine Truppe von Clowns dem Spalier an. Eine Gruppe von in silberne Folien gekleideten Demonstranten hielt den Polizisten Aluspiegel mit der Aufschrift „verboten“ entgegen.

„Es ist fantastisch, wie viele Leute trotz wochenlanger me­dialer Hetze auf die Straße gegangen sind“, sagte Florian Wilde von der Linken, der den Lautsprecherwagen der Partei moderierte. Seit Wochen habe Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) mit Gewaltszenarien versucht, auch die große Samstagsdemo zu diskreditieren. „In der Polarisierung zwischen neoliberaler Mitte und Rechtspopulismus waren linke Alternativen kaum noch wahrnehmbar“, sagte Wilde. Die Demo habe dies durchbrochen und ein „weltweit wahrnehmbares Signal für antikapitalistische Positionen gesetzt“.

Alle denkbaren linken Gruppen, NGOs und AktivistInnen, die am Vortag die Protokollstrecken der Gipfelgäste blockiert hatten, waren auf der Straße. Die Demonstranten einte eher ein Gefühl als gemeinsame Themen: Einzelne ukrainische Nationalisten waren ebenso dabei wie türkische Kommunisten, Umweltschützer, Globalisierungskritiker und Gewerkschafter. Auch wenige Fahnen der Grünen waren zu sehen.

Ein großer Block der Seenotrettungs-NGO Sea Watch machte das Flüchtlingssterben im Mittelmeer zum Thema: „Stoppt den Krieg gegen MigrantInnen“ stand auf ihrem Transparent. Von einer Brücke spannten zwei Frauen ein Transparent: „G20 – wir sind nicht alle! Es fehlen die Ertrunkenen.“ Auch die Auschwitz-Überlebende ­Esther ­Bejarano sprach: „Ihr wollt nicht zusehen, wenn durch die Ausbeutung der Natur die Inseln Mikronesiens dem Klimawandel geopfert werden“, rief die 92-Jährige, „ihr wollt nicht zusehen, dass mit Waffenhandel viel Geld verdient wird!“ Die Stadt Hamburg habe sich gegenüber den Protestierenden „unwürdig erwiesen“ und „die Konfrontation gesucht“, sagte Bejarano. Kundgebungen, Demos und selbst das Schlafen seien verboten worden.

„G20 – wir sind nicht alle! Es fehlen die Ertrunkenen“  - Protestplakat von zwei Frauen

Besondere Präsenz zeigten Kurden, die weite Teile des Demozugs dominierten und gegen den türkischen Präsidenten Erdoğan demonstrierten. Sie setzten sich über das kürzlich verschärfte Verbot hinweg, die Symbole kurdischer Organisationen zu zeigen. Eine Gruppe trug eine PKK-Fahne in der Größe eines Busses. Viele solidarisierten sich, sie nahmen kleine Fähnchen der syrischen Kurdenorganisationen entgegen und riefen: „Weg mit dem Verbot der PKK!“

Am Ende des Zuges schritt die Polizei dann doch ein. Augenzeugen berichten, dass Polizisten einen kommunistischen schwarzen Block stürmten. Zehn Demoteilnehmer wurden von der Polizei herausgezogen und in der Nähe der St.-Michaelis-Kirche eingekesselt. Die Polizei gab später an, sie habe wegen Vermummungen und weiterer Straftaten „eine etwa 120 Personen umfassende Gruppe aus dem Demonstrationszug separieren“ wollen. Die Beamten seien geschlagen und getreten worden.

Eine halbe Stunde später hatte der Demozug dann Festivalcharakter. Allerdings drohte die Polizei erneut einzugreifen, obwohl die Menge lediglich zu Technomusik feierte. Am Millerntordamm dröhnen Soundsysteme von Lastwagen. Menschen tanzen, erst auf der Straße, dann im daneben liegenden Alten Elbpark.

Die Polizei postierte zwei Wasserwerfer mit Blickrichtung auf die entspannt und demonstrativ Feiernden. Weil der Rasen des Alten Elbparks in Gefahr sein könnte, kam es dann zu einem absurden Polizeieinsatz. Behelmte Polizisten umringten einen Landrover mit Disco-Aufbau. Dort legte ein Techno-DJ auf, der auch manchmal Seifenblasen verschoss. Der Wagen sollte zurück auf den Asphalt. Kurz entschlossen formierte sich eine Sitzblockade vor dem eigenen Lautsprecherwagen. Der DJ bat, den Weg frei zu machen. Zunächst blieb alles friedlich.

Doch dann eskalierte die Situation. Die Polizei begann, Einzelne aus der tanzenden Menge herauszugreifen. Und setzte dann auch den Wasserwerfer ein. Die Polizei begründete das mit Flaschenwürfen auf Beamte. Sie gehe nun gegen Störer vor. Die Menschen aber blieben besonnen. Die Polizei konnte nicht verhindern, dass es ein Festival der Solidarität blieb.

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Weitere Infos, Berichte und Stellungnahmen unter "Aktuelles"  & Positionen  (& Über uns).

siehe auch dieses Video: https://youtu.be/S9GesJC6lA4

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Ablauf geklärt – Versammlungsfreiheit und Demokratie zentrale Themen

 

Pressemitteilung
Bündnis „Grenzenlose Solidarität statt G20“
Hamburg, 5. Juli 2017

* Ablauf der Demonstration geklärt: Start Deichtorplatz, Abschlusskundgebung Millerntorplatz
* Versammlungsfreiheit und Demokratie zentrale Themen auf der Demonstration am 8.7.
* Yes, we camp: Breite Solidarisierung gegen Schlafverbote – Unterbringung klärt sich

Die Abschlusskundgebung der Großdemonstration wird nun am Millerntorplatz stattfinden. Damit die Route geklärt. „Wir sind weiterhin zutiefst von der Rechtswidrigkeit des Verbots des Heiligengeistfeldes und der gesamten Blauen Zone überzeugt. Warum sollte auf dem Heiligengeistfeld ,Gefahr für Leib und Leben‘ bestehen, auf dem direkt davor gelegenen, aber viel zu kleinen Millerntorplatz aber nicht? Die maßlosen Gefahrenprognosen der Polizei entbehren jeder Plausibilität und Logik. Sie dienen allein dem Zweck, Versammlungen zu erschweren oder zu verhindern und stellen die Sicherheit von Diktatoren und Autokraten über die Rechte der Bevölkerung“, sagte Bündnissprecher Yavuz Fersoglu.

„Wir brauchen aber jetzt Sicherheit und Transparenz für die anreisenden Demonstranten. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichts am Freitag würde uns nur noch wenig nützen. Wir behalten uns vor, in der Hauptsache dennoch weiter zu klagen. Jetzt brauchen wir die Planungssicherheit u.a. für den Aufbau der Bühne für die Abschlusskundgebung“, so Fersoglu abschließend.

„Unsere Demonstration am 8.7. gegen den G20 Gipfel tritt für grenzenlose Solidarität ein. Durch die grundrechtsfeindliche Verbotspolitik des Hamburger Senats und die Ereignisse der letzten Tage rücken aber die Fragen der Versammlungsfreiheit und der demokratischen Rechte ins Zentrum unserer Themen. Für Demokratie und das Recht auf freie, unbehinderte Versammlung müssen wir nicht nur gegenüber Erdogan und Putin eintreten, sondern auch gegenüber dem Hamburger Senat und einer eigenmächtigen, repressiven Polizeiführung. Wir fordern alle Demokratinnen und Demokraten auf, mit uns gemeinsam am 8.7. auf die Straßen zu gehen“, sagte Bündnissprecherin Emily Laquer.

„Allen Menschen im In- und Ausland, die noch zögern zu den Protesten nach Hamburg zu kommen, rufen wir zu: Kommt alle! Es geht um viel, jetzt müssen wir Haltung zeigen“, ergänzte Laquer.

Das Demobündnis ist erfreut über die breite zivilgesellschaftliche Unterstützung für das Recht der angereisten Protestteilnehmer auf Unterkunft und Versorgung in Protestcamps.

„Die Öffnung des Schauspielhaues gestern Nacht, die Duldung von mehrerer kleinerer Camps auf kirchlichen Flächen und die Anmeldung der Aktion „Sleep-in gegen Schlafverbote“ im Volkspark Altona zeigen deutlich: Hamburg ist gastfreundlich und lädt den Protest in die Stadt ein“, sagte Bündnissprecher Malte Albrecht.

„Die Linie von Senat und Polizei, den Protestierenden den Schlaf, das Essen und die Duschen zu verweigern, ist faktisch gescheitert. Das sollte der Senat jetzt eingestehen und von weiterer Eskalation an der Campfrage Abstand nehmen“, so Albrecht weiter.


Den Aufruf zu der Demonstration „Grenzenlose Solidarität statt G20“ am 8. Juli in Hamburg haben unter anderem Attac Deutschland, die Partei Die Linke, DIDF, die DKP, die bundesweiten Koordinationsstrukturen der Friedensbewegung, die Hedonistische Internationale, die Interventionistische Linke, IPPNW, Nav-Dem, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, Robin Wood sowie die Jugendorganisationen von BUND, IG-Metall und Naturfreunden und viele Hamburger Organisationen, darunter die GEW, unterzeichnet. Die Veranstalter erwarten 50.000 bis 100.000 Teilnehmende bei der Demonstration. Weitere Informationen: www.g20-demo.de.